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Le Charme (Burgund)


(Eine Erzählung von Felix Leidmann für Junge und solche, die nicht älter werden...)

(erstellt 28.5.2008)

(erweitert 12.2.2010)

Martin kam zur Mittagszeit von der Schule nach Hause. Als er die Haustüre öffnete, erwartete ihn im Flur schon sein Hund Cicero, der kleine weiße Terrier, und begrüßte ihn mit heftigem Schwanzwedeln, hellem Bellen und ausgelassenem Umherspringen. Martin beugte sich zu dem kleinen Wildfang hinunter und streichelte ihn zärtlich, was im Cicero mit dem Abschlecken der Hand dankte.

Darauf streifte Martin seinen Rucksack von der Schulter, warf ihn in den Dielenschrank und ging ins Esszimmer, um seine Eltern zu begrüßen. Der Vater war bereits aus seinem Arbeitszimmer gekommen und hatte am langen Esstisch seinen Stammplatz am Tischende eingenommen.

"Hallo Martin", grüßte der Vater freundlich, "wie war es in der Schule heute?"

Währenddessen kam die Mutter aus der Küche. "Hi Martin" sagte die Mutter, "alles klar? Aber wasch' Dir bitte die Hände vor dem Essen".

"Och, der Mathelehrer war heute krank, also sind wir zwischen 10 und 11 Uhr alleine in der Klasse gewesen. Luis hatte als Klassensprecher die Aufsicht, der Direktor hat das so eingeteilt. Wir haben gelesen und natürlich waren wir auch lustig", antwortete Martin seinem Vater. "Na, das ist ja ein lockeres Leben, wie sollt Ihr da was lernen" sprach der Vater und vertiefte sich wieder in seine Zeitung, während die Mutter aus der Küche die Suppenschüssel ins Esszimmer brachte.

Martin konnte es kaum erwarten, bis das Mittagessen zu Ende war, denn er hatte sich für den Nachmittag mit Luis verabredet. Luis ging wie er selbst in die 6.Klasse der Fontane-Realschule, sie waren beide 12 Jahre alt und verstanden sich prächtig miteinander.

Luis Großeltern waren als Einwanderer aus Spanien gekommen, seine Eltern und Luis selbst waren schon in Deutschland geboren worden und Luis wuchs zu Hause zweisprachig, spanisch und deutsch, auf. Ausserdem hatte er Englischunterricht wie alle an der Schule. Luis war etwa so groß wie Martin, seine schwarzen, dichten Haare hatte er nach hinten gekämmt. Die dunklen Augen, die regelmäßige Gesichtsstruktur und die gerade, nicht zu große Nase zusammen mit dem vollen Mund verliehen ihm ein typisch südländisches Aussehen. Martin dagegen war mehr der nordeuropäische Typ, blonde Haare, blaue Augen, gerade Nase, helle Gesichtsfarbe, außerdem hatte er einige Sommersprossen im Gesicht und am ganzen Körper verteilt.

"Ey hombre" wurde Martin von Luis am Brunnen auf dem Marktplatz begrüßt. Cicero, der Martin durch die Stadt begleitet hatte, wuselte zwischen den Beinen von Luis umher und bellte einmal kurz, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.

"Hola Luis" erwiderte Martin mit Begeisterung, "wollen wir auf die Burg gehen?". "Oh ja, das ist eine gute Idee, da können wir ein bisschen auf die Mauern klettern", pflichtete Luis bei.

Gemeinsam machten sie sich auf den Weg durch die Fachwerkhäusergassen der Altstadt. Cicero blieb immer wieder zurück, um etwas zu erschnuppern, holte sie dann aber mit gallopähnlichem Lauf ein und lief ein Stück voraus, bevor er wieder zurückfiel. Schließlich gelangten die drei zum Fuße des Burgberges, wo der ziemlich steile Aufstieg zur 200 Meter höher gelegenen Burgruine seinen Anfang nahm.

(erstellt 29.5.2008)

Das kopfsteingepflasterte Gäßchen war alle paar Meter durch eine oder mehrere Stufen unterbrochen. Cicero sprang elegant von Stufe zu Stufe und legte den Abstand zwischen den Treppenstufen mit kleinen Trippelschritten zurück. Der Weg schlängelte sich durch lichten Wald aufwärts, so dass man immer wieder schöne Ausblicke über die malerische Alstadt hatte. Bald traf der Pfad auf den leichter ansteigenden Burgweg, der in den Hang gebaut und breiter war. Hier waren früher die Wagen und Reiter zur Burg gelangt. Heute benutzten die meisten älteren Leute, auch jüngere mit Fahrrädern oder Kinderwagen, diesen Weg, um zur Burg zu kommen.

Unsere drei Freunde gingen weiter und es dauerte nur noch 5 Minuten, und Luis und Martin samt Cicero hatten die Burgruine Falkenstein erreicht. Die Reste der alten Ritterburg lagen direkt über der Stadt und es bot sich von hier oben ein weiter Blick über die Kleinstadt und über das angrenzende breite Tal bis zu den weit entfernten Bergen im Hintergrund.

Es war Frühling und ein feiner Blütenduft lag in der Luft.

"Auf, lass' uns die Burgmauer raufklettern", rief Martin zu Luis hinüber, der vor einer stabilen Holztür mit vergittertem kleinen Fenster stand. Die Tür befand sich etwas abseits von der Burgmauer und verschloß einen Eingang in einen etwa 5 Meter hohen und ebenso breiten Sandsteinfelsen, der aus dem Berg ragte. Früher mußte sich der  Felsen im Inneren der Burg befunden haben, wie man an den niedrigen Resten einer Mauer erkennen konnte, die vom Ende des Felsens zur noch besser erhaltenen Burgmauer verliefen. "Warte mal Martin" sagte Luis zu seinem näherkommenden Freund, "mich würde doch mal interessieren, was sich hinter dieser Tür befindet". "Ein Geheimgang ist dahinter,das hat mir mein Großvater erzählt, und der hat es von seinem Vater. Der Gang soll hinunter in die Stadt führen, aber was genaues weiß man nicht" berichtete Martin. "Geh, ein Geheimgang, das glaub' ich nicht, bestimmt ist es nur ein Vorratsraum" sagte Luis skeptisch. "Ja, man muß es halt mal erkunden, aber die Tür wirkt sehr stabil, und das Schloß hier ist auch ziemlich massiv, wie sollen wir da hineinkommen?" fragte Martin mehr sich selbst als seinen Freund Luis. "Du, das ist nur ein normales Schloß, kein Sicherheitsschloß, das bekommen wir mit einem starken Dietrich auf" erklärte Luis mit Überzeugung. "oh ja, das machen wir", stimmte Martin bei, "aber wir müssen es abends machen, wenn hier keine Leute mehr sind". Er wusste, daß der kleine Getränkekiosk im Inneren der Ruine um 18 Uhr schloß und dass bei Dunkelheit niemand mehr hier oben zu erwarten war, denn der Weg und die Burg waren nachts nicht beleuchtet. "Ja, abends machen wir es" beschloß Luis.

"Morgen Abend wäre es von mir aus günstig, meine Eltern gehen zum Flamenco ins spanische Zentrum und kommen bestimmt erst um Mitternacht nach Hause". "Das ist ok" erwiderte Martin, "ich kann aus meinem Zimmer im Erdgeschoss unbemerkt abends raus, ich baue die Kissen im Bett so zusammen, dass niemand merkt, dass ich nicht im Bett bin, und meine Eltern gehen morgen Abend auch aus und werden erst spät zurückkommen". "Alles klar" entschied Luis, "morgen Abend um Sieben treffen wir uns am Brunnen auf dem Marktplatz. Ich werde einen kräftigen Draht und eine Zange mitbringen, daraus können wir den Dietrich biegen um das Schloß zu öffnen". Martin trug seinen Teil dazu bei: " Wir haben eine starke Taschenlampe mit frischen Batterien zu Hause, die werde ich nehmen, dann haben wir genug Licht".

Fröhlich machten sich Martin und Luis und Cicero auf den Weg den Burgberg hinunter, bis sie den Marktplatz erreicht hatten, vergingen nur 15 Minuten.

(erstellt 11.8.2008)

Der Platz war zu dieser Nachmittagsstunde gut besucht von Einheimischen und Touristen, einige Gaststätten hatten Tische und Stühle im Freien vor den Lokalen drapiert und überall servierten die Kellnerinnen und Kellner den hungrigen und durstigen Gästen Getränke und leckeres Essen. Auch viele junge Leute trafen sich zu dieser Zeit beim Brunnen auf dem Marktplatz.

Martin entdeckte Gina und Rosita, die beide auf dem Brunnenrand saßen und sich unterhielten. "Schau' mal, Gina und Rosita sind auch hier" sagte Martin zu Luis und ging auf die beiden Mädchen zu. "Hallo, wie geht's" grüßte Martin, als er vor ihnen stand. "Hola" sagte Luis, der ihm gefolgt war. "Hi Martin, Hi Luis" ertönte es von Rosita und Gina sagte leise: "Nett, euch zu sehen".

Ginas runden Kopf bedeckten mittelblonde, halblange Haare, sie hatte graue Augen und ein kleines, gerades Näschen. Ihre Lippen waren hellrot und nicht zu kräftig, bedeckten kleine, weiße Zähne, darunter fand sich ein rundes Kinn. Ihre Figur war schlank, sehnige Arme und muskulöse Beine schauten aus dem ärmellosen blauen kurzen Kleid hervor.

Rositas dichte, schwarze Haare waren kurz geschnitten, ihre braunen Augen schauten listig in die Welt. Ihre Stupsnase über den vollen Lippen sah
lustig aus. Rosita war von kräftigerer Statur und etwas kleiner als Gina.Ihre dunkle Stimme klang angenehm. Über den hellblauen Jeans trug Rosita eine dunkelblaue Jacke und an den Füßen hatte sie heute ihre mittelbraunen Sportschuhe.

Die beiden Mädchen rutschten vom Brunnenrand und kümmerten sich um Cicero, der wie immer total begeistert war vom Zusammentreffen mit Bekannten und wild umhersprang. "Ach, ist der süß", erklang es aus Mädchenmund, und "so ein lieber Hund und so schön weiß".

Luis sprach gerne über seine Aktivitäten, und so erzählte er auch in diesem Fall den beiden Chicas, was Martin und er auf dem Burgberg entdeckt und zu tun beschlossen hatten. Rosita hörte interessiert zu, Gina schien nur halb dabei zu sein. "Das ist ja eine spannende Geschichte," ließ Rosita hören, "ja, aber nicht ungefährlich" warf Gina ein. "Wieso, was soll daran gefährlich sein?", fragte Martin verdutzt. "Na ja, wenn da wirklich ein Gang ist, kann sich doch alles mögliche darin befinden, igitt, Fledermäuse, Ratten und so. Ganz zu schweigen vom Zustand des Ganges, ob die Decke noch trägt und dass nichts einbricht, während ihr drinnen seid", gab Gina zu bedenken. Martin und Luis tauschten verstohlene Blicke. "Also gut" sagte schließlich Luis, "wir müssen uns halt vorsehen, ein bisschen Spannung darf schon dabei sein" gab er an, "wir werden unsere Handys mitnehmen und können damit im Notfall Hilfe rufen". "Da wäre ich nicht so sicher", entgegnete Martin, "unter dem Berg kann es passieren, dass man keine Verbindung nach draußen mehr bekommt, wir müssen uns  was anderes einfallen lassen". Er machte auch gleich einen Vorschlag: "Wie wäre es mit einer langen Schnur, die wir an der Tür anbinden und dann während wir vorgehen hinter uns abrollen lassen?". Luis fand die Idee ausgesprochen gut und sagte "Au ja Martin, das ist genial, sollte es Abzweigungen geben, kann man immer wieder den Rückweg finden. Außerdem wissen ja Rosita und Gina was wir vorhaben und können, falls wir übermorgen früh noch nicht aufgetaucht sind, Hilfe holen". Rosita sagte spöttisch: "Ja, die Frauen müssen's wieder richten, wie immer, aber natürlich werden wir uns um Euch kümmern, darauf könnt ihr euch verlassen".

(erstellt 16.10.2008)

Nachdem nun alles geklärt schien, verabschiedeten sich Luis und Martin von den beiden Mädchen und machten sich mit Cicero auf den Weg zum Schulhof, wo um diese Zeit bei gutem Wetter meistens einige Jungs zum Fußballspielen versammelt waren. So auch heute, etwa 10 Burschen waren da, und Martin und Luis reihten sich nach der nächsten Unterbrechung ins Spiel ein. Auch Cicero jagte dem Ball hinterher und störte damit das Spiel entscheidend. "Du, Martin, so geht das nicht, nimm Deinen Hund vom Spielfeld" beschwerte sich Karl, der Spielführer der einen Mannschaft. Martin sah das ein und brachte den widerstrebenden Cicero zu einem Baum am Hofrand, wo er ihn mit der Hundeleine, die er um den Bauch geschlungen bei sich getragen hatte, festband. Traurig legte sich Cicero im Schatten nieder.

Bei dem Fußballspiel dienten Jacken als Torpfosten und sie spielten ausgelassen mit zwei Mannschaften gegeneinander. Gegen 18 Uhr machten sich Luis und Martin mit dem gleich wieder fröhlichen Cicero auf den Weg nach Hause.

"Also dann, bis morgen" sagte Luis zu Martin und Martin antwortete: "Wie besprochen, morgen Abend machen wir's"

(erstellt 31.10.2008)

Zweites Kapitel

Martin erwachte am nächsten Morgen von alleine nach 6 Uhr und hörte das laute Singen der Vögel vor seinem Fenster, das zum Garten des Hauses gelegen war.

Draußen standen neben Büschen am Rande der ca. 300 qm großen Rasenfläche auch einige mittel hohe Bäume. Martins Eltern hatten das Haus vor 10 Jahren erbauen lassen und die kleinen Bäumchen von damals waren kräftig gewachsen und schon 4 oder 5 Meter hoch.

Schnell erwachten seine Gedanken und erinnerten ihn an die Entdeckungstour, die Luis und er heute am späten Nachmittag auf dem Burgberg vorhatten. Aber zuerst musste der Vormittag in der Schule überstanden werden.

Als Martin die Tür zum Flur öffnete, lauerte schon Cicero schwanzwedelnd davor und sprang an Martins Bein hoch. "Ja, Cicero, jetzt gehen wir Gassi" und Martin zog schnell seine Jeans und das Sweatshirt über den Schlafanzug, schloss die vordere Haustüre auf und verließ mit dem aufgeregten Cicero das Haus.

Die Umgebung des Hauses war um diese Morgenstunde noch ziemlich ruhig. Es lag an einer verkehrsberuhigten Anliegerstraße und gegenüber waren noch unbebaute Felder, so dass Cicero genügend Auslauf hatte.

Eine Viertelstunde später kehrten Cicero und Martin zum Haus zurück. Nachdem Martin geduscht und sich angezogen hatte, setzte er sich an seinen Schreibtisch in seinem Zimmer und schrieb noch schnell den Aufsatz, der für heute als Hausarbeit vom Deutschlehrer aufgegeben worden war. Martin konnte morgens schon ganz gut Formulieren und so war er in etwas mehr als einer halben Stunde fertig. Da der Mathematiklehrer gestern krank gewesen war, entfiel die Mathearbeit für heute und Martin war nach seiner Meinung einigermaßen gut für den Schulunterricht vorbereitet. In Biologie und Englisch hatte er vorgearbeitet und konnte nun dem Tag gelassen entgegen sehen. Kurz nach 7 Uhr ging er ins Esszimmer, um mit seinen Eltern zu frühstücken.

"Gutem Morgen" grüßte Martin die beiden bereits Anwesenden. "Guten Morgen" kam es zweistimmig zurück. "Na, Martin, hast Du gut geschlafen?" fragte die Mutter und Martin antwortete "ja, ich bin sogar von alleine wach geworden". Der Vater fragte "hast Du Deine Hausaufgaben für heute fertig? Schreibt Ihr heute eine Arbeit in der Klasse?". Martin bestätigte, alle Aufgaben erledigt zu haben und verneinte die Frage nach der Klassenarbeit.

(erstellt 19.12.2008)

Die Mutter gab Cicero Futter in seinen Napf im Flur und der kleine Terrier stürzte sich wie ein halb Verhungerter darauf. Er war noch jung und immer hungrig.

Dann unterhielten sich Vater und Mutter über den bevorstehenden Tag. Der Vater arbeitete die meiste Zeit zu Hause als freier Journalist, und nur ab und zu ging er in eine Redaktion zu Besprechungen. Die Mutter half ihm bei der Arbeit und kümmerte sich um den Haushalt. Eimal die Woche, freitags nachmittags, kam Frau Helfrich als Putz- und Bügelhilfe für ungefähr vier Stunden ins Haus.

Gegen zwanzig vor acht nahm Martin seinen Rucksack auf den Rücken und machte sich auf den Weg zur Schule. Er ging durch seine eigene sonnenbeschienene Strasse bis zur Kreuzung, bog nach rechts ab und lief den breiten Fuß- und Radweg  zwischen den auf beiden Seiten liegenden Schrebergärten hindurch. Hohe Hecken und Zäune grenzten die Gärten vom Weg ab. Nach etwa 500 Metern erreichte er die Radfahrer- und Fußgängerbrücke, welche über die breite, tieferliegende Umgehungsstrasse bis zum Fuße des Hügels reichte, auf dem die Stadt teilweise erbaut war. Nach Überquerung der Brücke konnte Martin auf dem Bürgersteig der am Hang entlang ansteigenden Alleestrasse weiterschlendern. Rechts waren die stattlichen Häuser in den Hang gebaut, links lagen die Villen tiefer, dem abfallenden Hang folgend. Kaum fünfzehn Minuten seit dem Verlassen seines Elternhauses waren vergangen, als er schon seine Schule erreicht hatte. Es war ein hundert Jahre altes Gebäude, teilweise aus rotem Sandstein, teilweise aus beigefarbig verputzten Ziegeln erbaut, mit einem ehrwürdigen Sandstein-Portikus auf dessen oberen Abschluss "Bismarck-Schule" als Relief geschrieben stand.

Um diese Zeit, es war jetzt kurz vor 8 Uhr, hatten die meisten Schüler schon ihre Plätze im Klassenzimmer eingenommen. Martin machte es immer Mühe, gerade noch rechtzeitig vor Schulbeginn seinen Platz zu erreichen. Luis saß auf dem Platz am Zweiertisch links vor ihm, Martin selbst ließ sich auf dem rechten Stuhl des dahinter stehenden Tisches nieder, nachdem er kurz mit "Hallo" Luis und seine nächsten Klassenkammeraden begrüßt hatte. Schon kam Biolehrer Schulte durch die Tür des Klassenzimmers und wünschte "Guten Morgen". Während Herr Schulte energisch zum Platz vor der Tafel ging ebbte der Gesprächslärm in der Klasse ab und der Unterricht begann.

Zur grossen Pause um zehn Uhr trafen sich Luis und Martin im Schulhof unter dem alten Lindenbaum. Auf Kniehöhe schmiegte sich eine Holzbank um den Stamm und die beiden setzten sich. "Ich habe heute Nacht unruhig geschlafen und geträumt" sagte Luis, "dass wir uns im Stollen auf der Burg verirrt haben. Nachdem wir endlos lange herumgelaufen waren, bin ich plötzlich aufgewacht": Martin erzählte Luis von seiner eigenen ruhigen, ereignislosen Nacht und erwähnte, dass man ja in dem Stollen jederzeit umkehren und zurückgehen könne wenn es brenzlig werden würde.

Gina und Rosita näherten sich Brot kauend der Bank unter der Linde und grüßten freundlich.

(erstellt 7.2.2009)

Die beiden Mädchen besuchten die Parallelklasse zur Klasse der beiden Jungs in der Bismarckschule und sie trafen sich häufig in den Pausen. "Na, habt ihr immer noch vor, in den Berg zu steigen oder habt ihr es euch noch mal überlegt?" fragte Rosita und Gina ergänzte: "Wir würden euch nicht auslachen, wenn ihr es sein lassen würdet". Martin war bei der Ehre gepackt und sagte entschlossen: "Natürlich werden wir es machen, ein Mann, ein Wort" und Luis bekräftigte "was man sich vorgenommen hat soll man auch ausführen". Die vier unterhielten sich noch bis zum Ende der Pause und gingen alsdann zurück in ihre Klassenzimmer.

Heute war die Schule um 13 Uhr zu Ende. Luis verabschiedete sich von Martin, nachdem die beiden nochmals ihr Vorgehen für den Abend besprochen hatten. Sie wollten sich um 18:30 Uhr am Marktplatz treffen. Luis machte sich auf den Weg nach Hause. Vor dem Schulportal wandte er sich nach rechts und ging die Bismarckstrasse entlang bis zur Kreuzung mit der Hauptstrasse. Der ältere Teil der Stadt lag auf dem Hügel, während die in den letzten Jahrzehnten errichteten Häuser in der Ebene nach Westen hin ausgerichtet waren. Die Stadt war schon recht alt, Altertumsforscher hatten schon eine Besiedlung vor ungefähr 2000 Jahren anhand alter Holzfunde nachgewiesen.

(erstellt 23.3.2009)

Die Umrisse von Holzhäusern, vielleicht eher Hütten, konnten anhand von im Boden verbliebenen Rundholzfundamenten nachgewiesen werden.

Luis wohnte mit seinen Eltern am Ende der Hauptstrasse in einem älteren gemieteten Haus. Da Luis Vater als Arbeiter in der Fabrik nicht allzu üppig entlohnt wurde und seine Mutter durch werktägliches zweistündiges Putzen bei einer Reinigungsfirma wenig hinzuverdiente, hatten sie das preisgünstige Haus als Wohnung genommen. Luis war nicht das einzige Kind der Familie, es gab eine zwei Jahre jüngere Schwester namens Conchita, welche schon mit seiner Mutter in der Küche das Essen zubereitet hatte. Es gab Chili con carne mit Tomatensalat. Das kleine Esszimmer besaß eine typisch spanische Einrichtung aus dunklem Holz mit einer Anrichte, einem Tisch und 6 Stühlen. An einer der weißen Wände, gegenüber dem Fenster, hing ein gerahmter Kunstdruck von Salvador Dali, die zerrinnende Zeit darstellend. Auf der Anrichte stand ein dreiarmiger Kerzenleuchter. Luis deckte 3 grössere Teller und Essbesteck auf den Tisch und gab Wasser in einer Karaffe und 3 Trinkgläser hinzu. Der Vater würde erst in drei Stunden von der Arbeit kommen, so das nur die Mutter, die Schwester und Luis das Mittagessen einnahmen. Während des Essens unterhielten sie sich auf spanisch, weil es ihre Muttersprache war und sie an erster Stelle in der spanischen Kulturwelt ihre Heimat sahen. Conchita erzählte vom Unterricht und ihren Plänen, ab dem nächsten Jahr eine weiterführende Schule zu besuchen. Die Mutter unterstützte sie in ihrer Absicht, sie war stolz, zwei strebsame Kinder zu haben. 

(erstellt 12.2.2010)

Nach dem Essen räumten Conchita und die Mutter den Tisch ab.

Luis holte seinen Rucksack mit seinen Schulbüchern und -heften und machte sich am Esstisch an die Hausaufgaben. Es fiel ihm nicht leicht, sich auf die Arbeit zu konzentrieren, immer musste er an das Treffen mit Martin am späten Nachmittag denken.

Nach einiger Zeit waren die Aufgaben erledigt und Luis konnte im Fernsehen ein Fussballspiel ansehen. Gegen 16:30 Uhr kam sein Vater von der Arbeit nach Hause und setzte sich nach kurzer Unterhaltung auf spanisch ebenfalls zu Luis vor den Fernseher. Gemeinsam diskutierten sie angeregt über das Spiel, bis der Vater sich ins Bad begab, um vor dem bevorstehenden Flamencoabend zu duschen und sich gebührend neu anzukleiden. Luis nahm aus dem Werkzeugschrank eine kleinere Zange und fand ein Stück Draht, aus dem sich ein Dietrich biegen lassen würde. 

Es war nach 18 Uhr geworden und Luis verabschiedete sich von seinen Eltern mit dem Hinweis, noch ein bisschen zum Marktplatz zu gehen. Er wusste, dass seine Eltern auch gleich gehen würden und erst gegen Mitternacht zurück kämen und so nicht merkten, wenn er spät nach Hause kam.

Luis ging durch die untere Hauptstrasse mit mehreren Biegungen bis zur oberen Hauptstrasse, die relativ gerade verlief und unten am Marktplatz vorbei führte.

Überall entlang des Weges standen hunderte Jahre alte Fachwerkhäuser, manche noch mit sichtbarem Fachwerk, manche verputzt, dazwischen modernere Gebäude.

Am Marktplatz angekommen, steuerte Luis direkt auf den Brunnen zu. Es war noch ziemlich hell. Vor den Gaststätten standen Tische und Stühle im Freien, um Gäste anzulocken. Martin war nirgends zu erspähen, so setzte Luis sich auf den Brunnenrand und hörte dem Plätschern des Wassers zu. Mit der Hand strich er sachte nach hinten über das klare, weiche Wasser.

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Martins Eltern waren früh ausgegangen, sie hatten eine Verabredung mit Freunden in deren Haus in einem Nachbarort. Erfahrungsgemäss würde es spät werden bei den beiden, und so sparte sich Martin die Mühe, sein Bett so herzurichten, als wenn er drinnen läge. Er war ziemlich sicher, gegen 22 Uhr wieder zu Hause zu sein. Seine Eltern waren dann höchstwahrscheinlich noch nicht da.

Martin steckte die mittelgrosse Haushalts-Taschenlampe ein, nachdem er sich zuvor versichert hatte, dass deren Licht hell brannte. Ausserdem nahm er aus der Haushaltsschublade eine Rolle Schnur. Gegen 18 Uhr griff er nach der Hundeleine, worauf Cicero wie verrückt umher sprang. Er wusste, dass es jetzt nach draussen gehen würde und war vollkommen begeistert. Martin legte Cicero die Leine um den Hals, dann gingen sie los.  Martins und Ciceros Weg zum Marktplatz war länger als der von Luis. Schon zur Schule waren es ungefähr 15 Minuten, und von da aus ungefähr noch einmal so lange. Aber gegen 18:30 waren die beiden am Marktplatzbrunnen und trafen dort auf den wartenden Luis.

(wird fortgesetzt)